„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen.“ Das sagt Jesus nach dem Zeugnis des Johannes-Evangeliums (Johannes 6,37) zu seinen Jüngern. Für das Jahr 2022 ist es das Leitwort („Jahreslosung“) der evangelischen Kirche. Dieser Satz klingt für mich wie die ausgebreiteten Arme Gottes in der menschlichen Gestalt Jesu. So wie im Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“, wo der Vater vor der Tür steht, schon von Weitem den „verlorenen Sohn“ kommen sieht, ihn mit offenen Armen empfängt und für ihn ein Fest ausrichtet.
Jesus hält also die Arme offen für alle, die zu ihm kommen. Aber kann man dieses Leitwort so einfach auf die Situation der aktuell zu uns Fliehenden beziehen? Ich meine: Ja, denn als Christenmenschen folgen wir dem Impuls Jesu und nehmen ihn als Orientierungslinie für unser Handeln heute.
Aufnahme oder Abweisung – zwischen diesen beiden Polen ereignet sich der Umgang mit Menschen auf der Flucht. Dabei geht es ja zuerst um das Recht von Menschen, ihr Herkunftsland, in dem Gefahr für Leib und Leben droht, zu verlassen, und um das Verbot, dorthin zurückgeschoben zu werden. Menschen in einer solchen Notsituation muss ein geordnetes Asylverfahren ermöglicht werden. Dieses Recht geht zurück auf die Genfer Flüchtlingskonvention, die vor dem Hintergrund der Gräuel des Zweiten Weltkriegs als humanitäre Übereinkunft der Weltgemeinschaft entstand und die das Fundament des internationalen Flüchtlingsrechts darstellt. Allerdings wird die Selbstverständlichkeit dieses Rechts allenthalben untergraben, auch an den Außengrenzen der Europäischen Union. „Pushback“ ist das Unwort des Jahres 2021. Mit diesem Wort wird der menschenfeindliche Prozess des Zurückdrängens von Flüchtenden an den Grenzen durch Europas Grenztruppen verharmlost. Die dramatische Situation an der belarussisch-polnischen Grenzen ist uns allen noch vor Augen.
„Wer zu mir kommt, den werde ich nicht abweisen“? Oh doch, diese Abweisung geschieht permanent und führt zu unermesslichem Leid für die Menschen, die bei uns Zuflucht suchen. Deshalb ist es weiterhin geboten, sich in der Flüchtlingshilfe zu engagieren. Das geschieht lokal durch die Arbeitskreise unserer evangelischen und katholischen Kirchengemeinden in Bad Godesberg. Und es geschieht überregional z.B. durch Initiativen, die sich in der privaten Seenotrettung engagieren. So wird das von unserer Landeskirche mitbegründete Bündnis „United4Rescue“ mittlerweile von über 800 Bündnispartnern unterstützt, die die ganze Breite der Zivilgesellschaft widerspiegeln. Mit der Sea-Eye 4 konnte inzwischen ein zweites Rettungsschiff auf den Weg gebracht werden. Im Bündnis „Städte sicherer Häfen“, zu dem auch Bonn gehört, sind 294 Städte bereit, Menschen nach der Rettung aus Seenot aufzunehmen. Und jeweils am 1. und 3. Mittwoch im Monat gedenkt die Mahnwache der „Seebrücke“ um 19 Uhr am Obelisk auf dem Rathausplatz der Situation von Verfolgung und Flucht.
Die Jahreslosung bleibt eine Herausforderung für unsere Einstellung zu Flucht und Migration. Die Richtung, die sie weist, ist eindeutig.
Christoph Nicolai (Artikel für den Gemeindebrief, Ausgabe März 2022, S. 4 „Flüchtlingsarbeit“).
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